Warum Wertschätzung wirkt – auch auf Fehlzeiten

Interview mit Gesund-führen-Expertin Dr. Anne Katrin Matyssek

Dr. Anne Katrin Matyssek

Diplom-Psychologin und approbierte Psychotherapeutin aus Köln, ist Autorin zahlreicher Materialien für eine gesunde Betriebskultur.

Ihr Motto

Gesund führen – Fehlzeiten senken – do care!®

Anne, seit über 20 Jahren bist Du DIE Gesund-­Führen-Expertin in Deutschland. Ganz herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit für ein Interview genommen hast! Die ­enormen Effekte einer Wertschätzungs­kultur kannst Du seit mehr als zwei Jahrzehnten beobachten. Wie keine andere hast Du bezüglich dieses Themas Einblicke in deutsche Unternehmen und Institutionen. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Und was wird sich wohl nie ändern?
Dr. A.K. Matyssek:

Am Anfang meiner Tätigkeit stand Absentismus im Vordergrund:
Blaumacher-Jagd war angesagt.
Später ging es dann um rein körperliche Anwesenheit – die Fehlzeiten­quote war das Maß aller Dinge – und man übersah dabei zum Beispiel die Präsentismus-Gefahr. Heute, in Zeiten der Digitalisierung und des demographischen Wandels, steht der ganze Mensch mit seiner Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft im Vordergrund. Dabei spielt die Wertschätzung eine wichtige Rolle, denn genau wie vor 20 Jahren gibt es immer wieder Klagen über Wertschätzungsdefizite.

Warum fällt Führungskräften das Thema Wertschätzung so schwer? Zum Beispiel gegenüber Kranken oder Abwesenden?
Dr. A.K. Matyssek:

Wer abwesend ist, gefährdet die Ziele der Führungskraft. Sein Fehlen im Betrieb verursacht Störungen. Die Führungskraft muss umplanen, Mitarbeiter umsetzen, noch mehr Gespräche führen. Das nervt. Diese Ärgergefühle werden in der Regel runtergeschluckt, verschwinden dadurch aber nicht. Das Fazit: Man mag den kranken bzw. fehlenden Mit­arbeiter nicht mehr so gern. Der spürt das natürlich bei seiner Rückkehr. Wer sich abgelehnt fühlt, arbeitet nicht gern und in der Folge auch nicht gut. Und schon ist eine Negativ-Spirale aus zu wenig Wertschätzung in Gang gesetzt: ‚Magst du mich nicht, dann mag ich dich nicht.‘ Bitte nicht falsch verstehen: Diese Prozesse werden nicht reflektiert, sie laufen in der Regel unbewusst ab, einfach weil die Führungskraft im Stress ist und jede Fehlzeit zusätz­lichen Stress bedeutet. Wer im Stress ist, dem fällt Wertschätzung schwer …

Was hat Dich motiviert, das „do care!“-­Konzept zu entwickeln?
Dr. A.K. Matyssek:

Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn der Chef krankmachend führt. Da dachte ich: Das muss auch anders gehen! Und weil ich als Studentin auch viele gute Führungskräfte hatte, wusste ich auch, wie das gehen könnte.

Was sind die größten Hürden bei der Einführung von gesundheitsgerechter Mitarbeiter­führung?
Dr. A.K. Matyssek:

Eine Leitung, die das Thema nur halbherzig mitträgt, weil es zum Beispiel als Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen eingeführt werden soll. Da bleibt es dann beim Lippen­bekenntnis, und an den Arbeitsbedingungen soll nichts verändert werden. Das spüren die teilnehmenden Führungskräfte und gehen dann ihrerseits nur halbherzig mit.

Wie schaffen es die Unternehmen/Insti­tutionen, nachhaltig am Thema zu bleiben?
Dr. A.K. Matyssek:

Wenn es ihnen um ein wertschätzendes respektvolles Miteinander geht, empfehle ich hierzu die Kultur-­Box – die darin enthaltenen Materialien werden zum Beispiel wöchentlich ins Unternehmen gegeben, idealerweise jede Woche durch jemand anderen, der sich für dieses Thema interessiert. Und auch die Mini-Interventionen für die Führungskräfte werden wöchentlich verteilt. Oder – wenn es konkret um Gesund-Führen geht: Dann ist die Gesund-Führen-Toolbox das Mittel der Wahl: Hier lernen die Führungs­kräfte in 14 Mini-Sitzungen die Basis-­Kompetenzen kennen, die sie brauchen, um das Thema mit Leben zu füllen. Wer direkt bei Fehlzeiten ansetzen möchte, dem empfehle ich die Teilnahme am Fehlzeiten-Profi-­Trainingstag – bzw. wenn er klein starten möchte: Die 4-teilige Heft­reihe „Wenn einer fehlt“ mit Tipps für Kranke, Führungs­kräfte, Team-­Mitglieder und Personalerinnen.

Gibt es zwischenzeitlich Nachweise, dass Wertschätzung einen positiven Effekt auf die Anwesenheitszeiten und Motivation hat?
Vielleicht sogar auf den Umsatz?
Dr. A.K. Matyssek:

Es gibt zum Beispiel die Untersuchung (Schreuder et al., 2013), die besagt: Führungskräfte können für ihr Unternehmen im Durchschnitt 21.000 Euro einsparen, indem sie Langzeit-Kranken die Rückkehr in den Job erleichtern. Das gelingt nur über Wertschätzung. Denn nur wenn der Mitarbeiter sich gemocht und respektiert fühlt, wird er frühzeitig zurückkehren. Natürlich immer vorausgesetzt, dass er seine Gesundheit nicht gefährdet. Aber sonst denkt kein Mensch darüber nach, von sich aus den Termin des Arbeitsbeginns vorzuverlegen. Die Führungskraft könnte ja auf dem Standpunkt stehen ‚Der ist jetzt ohnehin im Krankengeld, der kostet den Betrieb nichts mehr, denn die Lohnfortzahlung ist ja vorbei‘ (nach 6 Wochen). Aber wenn sie sich um den Mitarbeiter bemüht, den Kontakt hält, ihn über neueste Ereignisse im Team auf dem Laufenden hält, sprich: ihm mit Wertschätzung begegnet – dann kommt dieser Mensch vielleicht sogar früher zurück als erwartet. Dadurch fallen Kosten für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter oder für Leiharbeiter weg, zum Beispiel.

Was motiviert Dich persönlich?
Dr. A.K. Matyssek:

Ich bin besessen von der Vision einer Arbeitswelt, in der Menschen gern arbeiten… Dazu will ich ­beitragen. Das ist meine Mission, immer schon. Führungskräfte spielen dabei eben eine wichtige Rolle. Und da Krankheit nun einmal zum Arbeitsleben dazu gehört und gerade beim Thema Fehlzeiten die Wertschätzung schnell verloren geht, setze ich genau da an. Es ist mein persönlicher ­Ehrgeiz, ­dieses ungeliebte Thema aus der Tabu­zone herauszuholen und besprech­bar zu machen. Vielen fehlen da einfach die Worte.

Wenn Du Führungskräften nur einen Rat geben dürftest, welcher wäre das?
Dr. A.K. Matyssek:

Passen Sie im ersten Schritt auf sich selbst auf. Sorgen Sie dafür, dass Sie sich im Betrieb wohlfühlen. Dann gelingt es Ihnen umso leichter, einen positiven und wertschätzenden Blick auf Ihr Team zu haben und Ihre Wertschätzung auch zu zeigen. Und wenn Sie direkt starten möchten: Machen Sie jetzt direkt eine Pause und laden Sie einen Mitarbeiter auf ein Glas Wasser ein …!

Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Sabine Frieg.
Kultur lässt sich nicht direkt beeinflussen, sie ist das Ergebnis von Erlebnissen. Aber Sie können Erlebnisse schaffen. Genau das tun Sie mit der do care!-Kultur-Box.
– Dr. A.K. Matyssek

Weitere Materialien für eine do-care-Kultur in Ihrem Unternehmen finden Sie unter do-care.de

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