Dr. Hans-Jürgen Kesper fliegt einmal im Jahr hinaus in die Welt, um kranken Kindern zu helfen. Umgeben von Armut findet der Mediziner zum Teil katastrophale Verhältnisse vor, erlebt aber auch unendliche Dankbarkeit. Ein Gespräch über Mut, das was wirklich wichtig ist und ein Kinderlachen.
Wenn er die Tür zu seiner Praxis öffnet, dann breitet sich ein Gefühl der Ruhe in ihm aus. Eine Gelassenheit, die ihm anzeigt, dass er wieder zu Hause ist. Die meisten Probleme unserer modernen, westlichen Welt verblassen in diesem Moment.
Das medizinische Versorgungssystem in Deutschland ist – im Vergleich zu dem, was Dr. Hans-Jürgen Kesper nur ein paar Stunden zuvor in Indien erlebt hat – ein Luxuszustand. Jetzt, nach dem langen Flug, wird ihm das erneut bewusst. Hier in seiner Kinderarztpraxis in Gladenbach (Hessen) wird nun wieder der Alltag Einzug halten: Impfungen, Beratungsgespräche, kleine Patient*innen mit laufenden Nasen und Bauchweh. Alles irgendwie beruhigend normal.
Kurz denkt Kesper an die Familien im indischen Jalna. An die Kinder mit den entstellten Gesichtern, die Verbrennungsopfer und die zahlreichen Operationen der letzten Woche. Es waren insgesamt 110 OPs in 8 Tagen. Ein straffes Programm von morgens 8 Uhr bis abends 20 Uhr. „Früher war überhaupt kein Kinderarzt vor Ort. Mittlerweile habe ich da aber mein eigenes Arbeitsfeld entwickelt. Ich bin dafür zuständig, die Kinder vor den Operationen anzuschauen, in den OP zu bringen, wieder abzuholen und in den Aufwachraum zu begleiten“, erklärt der Gladenbacher Kinderarzt. Das Projekt, dem sich Kesper seit einigen Jahren angeschlossen hat, wird von der Rotarier-Gruppe „Hattingen hilft“ organisiert.
Der Vorteil dieses spendenbasierten „Jalna-Projekts“, bei dem ein Teil eines christlichen Krankenhauses in der 300.000-Einwohner-Stadt angemietet wird, sei, dass die Ärzte und Pfleger immer am gleichen Ort arbeiten. Dadurch können sie auch eine Nachsorge der Patienten gewährleisten. Kesper hatte vor der Zeit in Indien unter anderem in Ägypten, Haiti und Palästina humanitäre Hilfe geleistet. Dort aber immer an unterschiedlichen Orten.
Der 62-Jährige ist ein zurückhaltender Gesprächspartner. Jemand, der genau überlegt, was und wie er es sagt. Besonders nachdenklich wirkt Kesper bei der Frage, ob es denn Mut erfordere, sich auf diese Reisen einzulassen. Anfänglich zögernd, erklärt der Kinderarzt die Unterschiede zwischen den medizinischen Systemen in Indien und Deutschland. „Als niedergelassener Kinderarzt ist man hier ja ein erweiterter Gesundheitspädagoge.
Natürlich besitzt man die nötigen medizinischen Kenntnisse. Grundlage in der Kinderheilkunde ist jedoch die Prophylaxe. Also die Beratung“, sagt Kesper. „Im Ausland habe ich es hingegen mit intubierten, frisch operierten Kindern zu tun. Also mit einer Medizin, die ich als sesshafter Kinderarzt längst hinter mir gelassen habe.“
In der Folge des Gesprächs wird klar, worauf Kesper hinauswill. Für ihn bedeutet MUT nicht, sich auf den Weg nach Indien zu machen, sondern sich der eigenen Unsicherheit vor dem Ungewohnten zu stellen. Als „alter Hase“ seines Fachs muss Kesper immer wieder auf Wissen aus längst vergangenen Tagen seiner Ausbildung rekurrieren. Mut erfordert es deshalb auch, bei Kollegen um Rat zu fragen. Gerade während der ersten „Auslandseinsätze“ sei er noch sehr aufgeregt gewesen, erklärt der 62-Jährige.
Aber ist diese achttägige Hilfe nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Hans-Jürgen Kesper überlegt. Er halte es mit einem Ausspruch seiner amerikanischen Kollegen, die er bei früheren Einsätzen kennengelernt hat. „It makes a difference“. Es macht also schon einen Unterschied. Zum Beispiel dann, wenn ein kleines gesichtsentstelltes Mädchen nach der gelungenen Operation wieder lachen kann.