Die Palliativstation im Universitätsklinikum Marburg ist ein besonderer Arbeitsplatz. Patienten, die hier aufgenommen werden, sind so schwer erkrankt, dass keine Hoffnung mehr auf Heilung besteht. Das wissen die Patienten und das wissen ihre Angehörigen.
Von außen betrachtet scheint dies ein Ort zu sein, an dem es Mitarbeiter nicht lange aushalten können: so viel Angst und Trauer, so wenige Lichtblicke. Wie kann man hier gerne zur Arbeit gehen? Ist die Fluktuation nicht unheimlich hoch? Wie gehen die Mitarbeiter miteinander um? Und greifen hier überhaupt noch die Aspekte gesunder Führung?
#work hat mit Sascha Tausch gesprochen. Er ist seit 2014 Stationsleiter und war einer derjenigen im Klinikum, die die Palliativstation von Anfang an mit geplant und konzipiert haben. Im Interview macht er einen entspannten Eindruck.
Den Einwand, dass es sich bei der Palliativstation um eine für die Mitarbeiter besonders belastende Abteilung im Klinikum handelt, lässt er nicht gelten: „Im Kern sind wir eine lebensbejahende Station. Jeder, der hier arbeitet, weiß das. Bei uns geht es zwar nicht darum, Menschen wieder gesund zu machen. Dafür geht es aber um Lebensqualität und darum, die verbleiben de Zeit für alle so gut wie möglich zu gestalten.
Unser Ziel ist, Menschen durch ein professionelles Symptommanagement so weit zu stabilisieren, dass sie nach Hause oder in eine geeignete Einrichtung entlassen werden können. Das gelingt uns bei der Hälfte unserer Patienten. Die andere Hälfte begleiten wir in der letzten Lebensphase und bieten sowohl den Patienten, als auch deren Angehörigen ein Zuhause auf Zeit und eine Atmosphäre, in der sich alle aufgehoben fühlen.“
25 Jahre Berufserfahrung bringt Sascha Tausch in seinen Berufsalltag ein. Der 46-Jährige hat seine Karriere Mitte der 1990er-Jahre mit einer Ausbildung im Klinikum begonnen und dann auf unterschiedlichsten Stationen im Haus gearbeitet. Mit der Leitung der Palliativstation gelang ihm der Sprung von der Mitarbeiter- in die Führungsebene. „Ich habe mir von Anfang an viele Gedanken gemacht, welche Führungskraft ich sein möchte“, erklärt er. „Im Rahmen meiner Berufslaufbahn hatte ich selbst verschiedene Chefs. Natürlich waren diese zunächst Vorbilder und ich habe versucht, ihre guten Eigenschaften zu übernehmen. Ich hatte mir dabei drei Fragen gestellt: ‚Wie möchte ich menschlich sein? Wie möchte ich organisatorisch sein? Was erwarte ich von meinem Team – und was nicht?‘. Natürlich habe ich mich anfangs auch mit anderen Stationsleitern ausgetauscht und letztendlich hatte auch die Pflegedienstleitung sehr konkrete Erwartungen an mich. Dennoch war es reizvoll, mit der neu etablierten Abteilung bei null anzufangen und gemeinsam mit dem Team zu wachsen.“
Das Projekt ist geglückt. Die Fluktuation in der Abteilung ist gering. Im multiprofessionellen Team, das aus Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Seelsorger und sozialmedizinischem Berater besteht, begegnet man sich auf Augenhöhe. „Jeder bringt hier seine Kompetenz ein“, meint Sascha Tausch. „Grabenkämpfe gibt es nicht. Wöchentlich haben wir Fallbesprechungen und jeden Morgen eine Frühbesprechung. Da kann jeder etwas beitragen und jeder hat auch etwas zu sagen. Wir begegnen uns mit Respekt und schätzen den anderen, gerade weil er andere Kompetenzen mitbringt.“
Das klingt nach paradiesischen Zuständen. Trotzdem hat auch Sascha Tausch Grenzen und Reibungspunkte, mit denen er umgehen muss. „Ich musste lernen, dass es bestimmte Rahmenbedingungen gibt, die ich nicht ändern kann. Das muss ich auch vor den Mitarbeitern vertreten. Ich sehe mich als ‚Puffer‘ und möchte, dass mein Team in Ruhe arbeiten kann. In Stress-Situationen versuche ich, erstmal ruhig zu bleiben. Dazu brauche ich Distanz. Es reicht, mal auf den Flur zu gehen oder eine Tasse Tee zu trinken. Und dann analysiere ich die Situation und rede mit jemandem darüber, meist mit meiner Stellvertreterin Christina Meth. Von Anfang an war sie mir sehr wichtig. Ich denke, man kann als Leitung alles an sich reißen. Das führt dann aber früher oder später zum Zusammenbruch. Daher ist es aus meiner Sicht besser, Verantwortung auf mehreren Schultern zu verteilen. Mit Christina läuft das reibungslos. Wir sind auf dem gleichen Informationsstand und treffen Entscheidungen gemeinsam. Sie ist eine gute Ratgeberin und wenn ich mich ärgere, rede ich mit ihr. Sie ist für mich wie ein Filter, der die Wut herausfiltert. Das kommt natürlich dem Team und der ganzen Atmosphäre auf Station zugute.“
Die geringe Fluktuation ist ein besonderes Wohlfühl-Signal. Wer zufrieden ist, der bleibt. Welches Geheimnis steckt dahinter? „Da gibt es sicher verschiedene Punkte“, sagt Tausch. „Zum einen versuche ich, meinen Mitarbeitern gegenüber so klar und verbindlich wie nur möglich aufzutreten. Das fängt schon bei der Dienstplangestaltung an. Ich setze mich hin und mache einen Jahresdienstplan, in dem ich die Wünsche der Mitarbeiter, Urlaube oder Weiterbildungen berücksichtige. Mit 13 Leuten sind wir eine eher kleine Abteilung, weshalb ich leider keine extravaganten Arbeitszeitmodelle anbieten kann – dafür aber größtmögliche Verlässlichkeit und eine faire Verteilung von Nachtdiensten und freien Tagen. Damit die Verbindlichkeit funktioniert, erwarte ich natürlich, dass die Dienste gemacht werden und niemand das System ausnutzt. Das ist im Team angekommen und so gibt es hier keine Schwierigkeiten.
Ein anderer wichtiger Punkt ist das Thema Verantwortung. Neben der Patientenversorgung hat jeder hier auf Station eine feste Aufgabe übernommen. Die Kollegen haben sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet und tragen die Verantwortung für diesen Bereich. Obwohl das ein Mehr an Arbeit bedeutet, schafft Verantwortung Zufriedenheit. Es ist gut zu wissen, dass einem der Chef vertraut. Und mein Team ist so gut ausgebildet, dass ich mir keine Gedanken machen muss.
Das führt mich zum nächsten Punkt: Mir ist es enorm wichtig, meine Mitarbeiter fortzubilden oder deren persönliche Entwicklung zu fördern. Das kann auch ein Karriereschritt auf eine andere Station sein. Zeiten für Fortbildungen müssen natürlich im Dienstplan berücksichtigt werden. Da aber alle Pflegekräfte gleichermaßen gefördert werden, besteht eine große Bereitschaft, sich gegenseitig zu vertreten. Gerechtigkeit ist ein großer Motivator.“
Was der wichtigste Punkt gesunder Führung sei, wollten wir am Schluss des Gesprächs dann doch noch wissen. „Zuhören“, kommt es umgehend zurück. „Und wenn in diesem Moment gerade keine Zeit ist, gilt es, zu einem späteren Zeitpunkt Raum für den Mitarbeiter zu schaffen. Klarheit und Verbindlichkeit erreichen wir schließlich nur, wenn alles zu Sprache kommen kann.“
Sag es mit Star Wars
Christina Meth ist Mitarbeiterin auf der Palliativ-Station. Das sagt sie über ihren Chef: Anfangs dachte ich, Sascha Tausch sei der „Yoda“ unserer Station. Das ist aber nicht richtig, denn er ist nicht allmächtig und möchte es auch gar nicht sein. Viel mehr ist er unser „Obi-Wan Kenobi“. Ein Lehrer nah an der Basis. Eine Leitung mit klaren Strukturen, Vorstellungen und Zielen.
Kompromisse kann er nicht leiden. Selbstkritisch hinterfragt er bei Entscheidungen immer auch seine eigene Motivation. Er ist ein Teamplayer, kein Einzelkämpfer, und legt sehr viel Wert auf die Meinung und das Einverständnis seines Teams. Ein gemeinsamer Lehrer von uns beschrieb einmal die Kompetenzen einer Stationsleitung it folgenden Worten: „Eine gute Stationsleitung sollte klar in der Sache, aber nah am Menschen sein“.